dritte Woche 6

Der Donnerstag mit der peinlichen Assembly endete am Abend mit einer Musicalaufführung. David Dunn hatte uns zur Aufführung in seine Factory eingeladen, eine von 5 schon vollkommen ausverkauften. Bei einer Bestuhlung von 60 Plätzen waren wohl zum großen Teil schon Freunde und Bekannte der Aufführenden die Zuschauer. Die völlig intakten Theatersessel hatte er sich von einer der hiesigen Universitäten organisiert, wo sie wohl zur Entsorgung freigegeben worden waren. Er hatte sich die besten ausgesucht, was zur Folge hatte, dass die Nummerierung in unregelmäßigen Sprüngen erfolgte, ein witziger Gag, wie wir fanden. Ich hatte eigentlich gar keine große Lust hinzugehen, aber was wir dann sahen, war von solcher Professionalität, dass wir völlig begeistert waren. Ein ehemaliger Schüler von David vom Wesley College hatte ein junges Ensemble zusammengestellt und das Musical Urinetown inszeniert. Hier kann man einen sogenannten Teaser sehen, ein Ausschnitt aus der Probenarbeit, der die Qualität und Witzigkeit aber nicht annähernd wiedergibt.

Der alte Satz pekunia non olet ist im Stück zu einer Geschichte ausgebaut, in der die Ohnmächtigen, allerdings unter Verlusten, gegen die Mächtigen erfolgreich kämpfen. Der Text bricht das Stück zum Teil auf, indem er mit den Musical-Klischees spielt und war gespickt mit witzigen Wendungen, die Schlag auf Schlag folgten, was ich aber nur an den Lachern, die aus dem Publikum kamen, merkte, denn es ging alles viel zu schnell, um genau zu verstehen. Gestik und Mimik der Schauspieler  waren so perfekt komisch, dass ich aus dem Lachen kaum herauskam, überhaupt war das Stück so rasant inszeniert, dass nirgendwo auch nur eine Sekunde Leerraum entstand, dazu eine für mich atemberaubende Choreographie, zur der teilweise auch noch sehr gut gesungen wurde, insgesamt eine Produktion, die man zumindest an jedes mittlere Theater in Deutschland als Publikumsrenner verkaufen könnte. Es wird ein Video davon geben, das ich mir bestelle, dann kann jeder sehen, ob ich übertrieben habe. Der Regisseur, ein schmächtiger netter Junge, saß am Mischpult und freute sich sehr über unser Lob. Ich fragte ihn, ob er das auch beruflich mache, aber er studiert irgendetwas mit Wirtschaft. Ich hatte den Eindruck, dass er in Deutschland als Regisseur arbeiten könnte, aber in Australien scheint es noch schwerer als bei uns zu sein, mit Theater Geld zu verdienen. Am Freitag war nach dem gemeinsamen Treffen mit den Eltern und Austauschpartnern noch ein Musical zu sehen, das die Acht- und Neuntklässler auf der schuleigenen Bühne aufführten. Es heißt Bye bye, Birdie und geht um einen Rockstar (gemeint ist wohl Elvis Presley), der zum Militär eingezogen wird und damit seinem Textautor und Produzenten als Geldquelle verloren geht. Um das zu verhindern, soll eine Story und ein Last Kiss mit einem anonymen Fan ausgedacht und in einer Fernsehshow untergebracht werden, was aber schiefgeht. Eine merkwürdige Erfahrung, denn es war dieselbe wie einen Tag vorher. Ein Text, der jede Menge Lacher beim Publikum produziert, tolle Schauspieler, hier sogar in perfekten Kostümen, die ihre Rolle wunderbar ausfüllten, die gleiche ausgearbeitete Gestik und Mimik, sehr gute Gesangsleistungen, dem Alter der 14-15jährigen angemessen, perfekte Ensembles mit Choreographie, und sogar der Spagat aus dem Sprung heraus, der mich einen Tag vorher, bei einer Darstellerin so faszinierte, kam hier von einer 14jährigen. Wir waren so begeistert wie einen Tag vorher. img_3234img_3235img_3236Beim Nachhauseweg, eine Kollegin von Sue war so freundlich, mich mitzunehmen, erfuhr ich, dass auch dieses Musical gar nicht von David Dunn geleitet wurde, denn ich hatte mich schon darüber gewundert, dass er offenbar fähig ist, Schauspiel- und Musicalregie zu führen, Dinge, die komplett unterschiedlich sind. In der Schule war es offenbar eine ganze Gruppe von Lehrern, die die Kinder in Schauspiel, Gesang und Tanz unterrichteten und auch die Leitung hatten. Da ich den Text ja nur grob verstanden habe, sind mir die strukturellen Ähnlichkeiten der beiden Aufführungen umso mehr aufgefallen. Hier waren unglaublich gute Handwerker sowohl bei der Entstehung als auch der Inszenierung am Werk. Musical funktioniert offenbar nach dem Prinzip eines großen Baukastens, zumindest was den Text, die Musik, die Choreographie und die Gesten beim Singen betrifft. Man hat eine sehr große Anzahl von Elementen, die, einmal beherrscht, miteinander kombiniert und auswendig gelernt werden können. Das verstehe ich nicht als abwertende Kritik. Diese Art der Technik ist bei uns aber offenbar unbekannt, kommt wohl aus dem Amerikanischen und hat inzwischen eine solche Tradition, dass sie an der Schule gelehrt werden kann. Ich sprach bei Gelegenheit mit David über die Antigone in der Speechnight. Ich könne das gar nicht verstanden haben, denn die Schulleitung hatte verboten, den Ausschnitt in Kostümen zu zeigen. Die waren nämlich allesamt Nazikostüme und sein Gedanke war, Kreon als totalitären Machthaber (vergleichbar mit Hitler) mit Assad aus Syrien zu vergleichen. Etwas holzschnittartig, aber den Gedanken kann man mit etwas gutem Willen nachvollziehen.